Die durch den Gesetzgeber vorgeschriebene betriebliche (Re-)Integration Beschäftigter mit gesundheitlichen Störungen liegt im Interesse des Staates, da die sozialen Sicherungssysteme letztlich weniger in Anspruch genommen werden, aber auch im Interesse der Unternehmen, weil die Ausfallzeiten reduziert und die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. verlängert und gesichert werden.
Das Problem:
Der Betriebsrat hat nur dort Mitbestimmungsrechte, wo sie ihm durch Gesetz zugewiesen worden sind. So sind in § 87 Abs. 1 BetrVG einige Gegenstände aufgezählt, in denen dem Betriebsrat Mitbestimmungsrechte zustehen.
Diese Gegenstände sind recht global gehalten, so dass sich immer wieder die Frage stellte, welche konkreten Punkte der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Umstritten war auch die Mitbestimmung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement bzw. deren Umfang.
Das Landesarbeitsgericht Hamburg befasste sich im Jahr 2014 mit einer entsprechenden Sache und fällte ein wegweisendes Urteil.
Der Fall: Arbeitgeber fechtet Spruch der Einigungsstelle an
Der Betriebsrat eines Logistikunternehmens erzwang gerichtlich die Bildung einer Einigungsstelle zum Thema betriebliches Eingliederungsmanagement. Auch in der Einigungsstelle konnten sich die Betriebsparteien nicht auf eine Regelung einigen. Die Einigungsstelle entschied daher mit einem Spruch. Dieser wurde vom Arbeitgeber angefochten.
Die Entscheidung: Spruch der Einigungsstelle unwirksam
Das Landesarbeitsgericht entschied für den Arbeitgeber, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam wäre.
Das Landesarbeitsgericht stellte dabei folgendes fest:
Bei der Ausgestaltung des BEM ist für jede einzelne Regelung zu prüfen, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht. Ein solches kann sich bei allgemeinen Verfahrensfragen aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, in Bezug auf die Nutzung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und hinsichtlich der Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergeben, denn § 84 Abs. 2 SGB IX ist eine Rahmenvorschrift im Sinne dieser Vorschrift.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats setzt ein, wenn für den Arbeitgeber eine gesetzliche Handlungspflicht besteht und wegen des Fehlens zwingender Vorgaben betriebliche Regelungen erforderlich sind, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13.03.2012 – 1 ABR 78/10 – Rn. 12).
Grundsätzlich besteht für den Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagement.
Dem Landesarbeitsgericht gingen allerdings folgende Regelungen im Spruch zu weit, die die Betriebsparteien einvernehmlich sicherlich unproblematisch hätten regeln können:
1. Mit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann nach Ansicht des Gerichts nicht die Verpflichtung der Arbeitgeberin erzwungen werden, alle gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitnehmer*innen über das BEM-Verfahren zu unterrichten, wie es nach dem Spruch der Einigungsstelle bestimmt worden war.
2. Außerdem enthielt der Spruch eine Regelung, nach der ein Integrationsteam gebildet werden sollte. Auch diese Regelung hielt das Landesarbeitsgericht für unwirksam. Es gibt kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, mit dem erzwungen werden kann, dass die Aufgaben des BEM einem festen, auf Dauer gebildeten Gremium übertragen werden, so das Gericht.
3. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umfasst nach Meinung des Landesarbeitsgerichts nicht die Durchführung von im BEM-Verfahrens beschlossenen Maßnahmen, die Überprüfung ihrer Wirksamkeit und Qualität, die Begleitung der Beschäftigten bei einer stufenweise Wiedereingliederung und die Erstellung der jährlichen BEM-Dokumentation, wie es im Spruch der Einigungsstelle vorgesehen war.
4. Schließlich besteht nach Meinung des Gerichts auch kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für die Frage der Erforderlichkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen, die vom Integrationsteam vorgeschlagen werden. Auch das sah der Spruch der Einigungsstelle vor.
Das Fazit:
Beim Gesundheitsschutz hat der Betriebsrat weitreichende Mitbestimmungsrechte. In diesem Kontext sollten auch das betriebliche Eingliederungsmanagement und die daraus gewonnenen Erkenntnisse gesehen und genutzt werden. Verfahrensregelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement können aber auch ohne weitere Regelungen einen sinnvollen Beitrag leisten, die Beschäftigten vor krankheitsbedingten Kündigungen zu bewahren.
Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 20.02.2014, 1 TaBV 4/13
Vorinstanz: Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 10.04.2013, 20 BV 15/12-